Sokotra: Die Insel des Glücks
Inseljuwel zwischen Afrika und Arabischer Halbinsel
14.06.2013 Rosenheim/Sokotra
Rosenheim/Sokotra: „Insel des Glücks“ bedeutet ihr angeblich
aus dem Sanskrit hergeleiteter Name: Doch bekanntlich ist das Glück eine Frage
des persönlichen Empfindens. Offiziell stellt Sokotra, größte Insel eines
Archipels im Indischen Ozean, den ärmsten Teil des Jemen dar. Die Einheimischen
außerhalb der Hauptstadt Hadibu leben in der Mehrzahl unter der Armutsgrenze –
teilweise ohne Elektrizität und fließendes Wasser, in einfachen Steinhütten,
die sich fernab der wenigen asphaltierten Straßen zu kleinen Streusiedlungen
zusammenfinden. Auch für den Pauschaltouristen, der Urlaubsglück mit Vier-Sterne-Service,
Nachmittagen am Pool und ausgelassenen Abenden an der Hotelbar verbindet, ist
Sokotra kein erstrebenswertes Ziel.
Dabei hat die Insel, die 240 Kilometer von der Küste
Somalias entfernt liegt, rein äußerlich all das zu bieten, was einen Reisender
ins Schwärmen bringt: kilometerlangen, blütenweißen Sandstrand, azurblaues
Meer, ein Paradies für Taucher und Schnorchler, und eine Landschaft, die mit
ihren einsamen Lagunen, kantigen Bergmassiven, schütterem Buschland und dichten
Palmenwäldern an Vielfältigkeit kaum zu überbieten ist. Doch wer die bizarr
gewachsenen, archaisch-anmutenden Drachenblutbäume oder die Granittürme des
zentralen Haghir-Gebirges mit seinen 1525 Metern Höhe bewundern möchte, muss
auf das Mietauto oder den bequemen Reisebus verzichten und offroad über teils
holprige Schotterpisten ins Landesinnere fahren. Dort übernachtet der Reisende
im Campingzelt – und bekommt zum Abendessen ein frisch geschlachtetes Zicklein
oder einen gegrillten Fisch, den der einheimische Reiseführer frisch aus dem
Meer gezogen hat. Zum Dessert gibt es einen grandiosen Sonnenuntergang. Wer
angesichts dieser Romantik fernab jeglichen Kitsches keine Glücksgefühle
bekommt, der ist, so sind die einheimischen Touristenführer überzeugt, ein
seelenloses Wesen. Trotzdem gibt es nach einer Nacht im Zelt oft kein
glückliches Erwachen: Die Wolken, die sich tagtäglich im Gebirge
zusammenbrauen, schieben die Feuchtigkeit bis in die Täler. Schwitzend und
angesichts der Feuchte zugleich fröstelnd erwacht der Camper am nächsten Morgen
in seinen klammen Kleidungstücken.
Das Abenteuer Sokotra haben bis vor wenigen Jahren vor allem
Biologen, Ornithologen, Botaniker und Höhlenforscher gewagt. Für sie besteht
die Mystik der „Insel der Glücks“ vor allem in ihrem weltweit einmaligen
Reichtum an Flora und Fauna, den die Insel einem glücklichen Umstand zu
verdanken hat: bis Anfang 2000 war sie von der Außenwelt fast das ganze Jahr
hindurch abgeschnitten. Auch ein sicherer Zugang per Schiff war nur von Ende
November bis Anfang April möglich. Im Sommer toben auf dem Archipel schwere
Monsunstürme, noch im Oktober ist mit heftigem Dauerregen zu rechnen.
Dieser Isolation, verursacht durch eine seit 15 Millionen
Jahren fehlende Landverbindung zum Horn von Afrika, verdankt der aus vier
Inseln bestehende Archipel seine Charakterisierung als „Galapagos des Indischen
Ozeans“. Weltweit gibt es nach Einschätzung der Vereinten Nationen kein zweites
Gebiet, dessen ökologisches Gleichgewicht so im Lot ist wie auf Sokotra. Etwa
30 Prozent aller Pflanzen kommen nur hier und nirgends sonst auf dem Erdball
vor. Auch die Tierwelt verfügt über einen einmaligen Reichtum an Endemiten.
Zum außergewöhnlichen Naturerbe gesellt sich eine ebenso
einmalige Geschichte, die reich an Legenden und Mythen ist. Durch die
exponierte Lage am südlichen Eingang zum Roten Meer, den Reichtum an Süßwasser,
Weihrauch, Myrrhe und Aloe, kam dem Archipel bereits in der Antike eine große
Bedeutung zu. Zu den Zeiten Abrahams reisten Händler aus Ägypten, Afrika, Indien
und Arabien auf die Insel. Die alten Ägypter verehrten Sokotra als die „Insel
der Götter“. Mit dem Harz der heiligen Bäume balsamierten sie ihre Mumien ein.
Angesichts dieser historischen, botanischen und biologischen
Einmaligkeit ist der Tourismus Fluch und Segen zugleich. Bleibt doch zu hoffen,
dass der sanfte Tourismus, der das diffizile ökologische Gleichgewicht der
Insel berücksichtigt, Menschen anspricht, die die Einsamkeit einer unberührten
Landschaft dem Hoteltrubel vorziehen, und Menschen, diebeim Betrachten von Naturschönheiten eher ihr
Glück finden als in luxuriösen Hotelanlagen. In der Hauptstadt Hadibu gibt es
zwischenzeitlich einige Übernachtungsmöglichkeiten. Von dort aus geht es samt
Fahrer ins Landesinnere. Auf seinen Reisen entlang der Küsten oder über die
Schotterstrecken in die Bergregionen trifft der Besucher Menschen, die noch so
autark leben wie vor Jahrhunderten. Gelassen und mit der für sie typischen
freundlichen Distanz registrieren sie die Fremden in ihrem Paradies. Andächtig
steht der Besucher vor den bis zu acht Meter hohen, bizarren Drachenblutbäumen
(Dracaena cinnabari), den Wahrzeichen Sokotras. Das „Drachenblut“ wurde in der
Medizin und als Farbstoff für Marmor, Leder und Holz eingesetzt. Auf den
Anhöhen des Kalksteinplateaus von Sokotra schlängeln sich Gurken- und
Flaschenbäume (Dorstenia gigas, Adenium obesum) mit ihren geschwollenen Stämmen
sowie die berühmten, knorrigen Weihrauchbäume (Boswellia ameero etc.), von
denen auf Sokotra allein sieben Arten vertreten sind. Offroad geht es
talabwärts über Plateaus, von denen sich ein einmaliger Ausblick auf eine Küste
mit einem weißen Sandstrand eröffnet, der fast die ganze Insel umsäumt. Hohe
Sandkegel, grüne Palmenhaine, weites, kurzwüchsiges Buschland, zackig
emporragende Bergmassive, dazwischen Flussläufe, in deren Wasser sich Fische
tummeln.Überall Naturwasserpools mit
roten Flusskrebsen: Zu dieser einmaligen Landschaft gehört eine Tierwelt, die
ebenfalls als weltweit einzigartig gilt. Allgegenwärtige Begleiter der Reisenden:
die weißen und schwarzen Schmutzgeier, die am Himmel ihre Runden ziehen und auf
dem Archipel die weltweit größte Population dieser Ordnungsvögel darstellen.
Abends und nachts gehört die Insel den großen, weißen Geisterkrabben, die bei
ihrer Futter- und Weibchenjagd nicht selten auch verstohlen an den Zeltwänden
kratzen.
Einheimische Säugetiere sind jedoch nicht zu finden – ebenso
wenig wie Hunde oder Hühner. Nutztiere wie Ziegen, Schafe, Rinder, Dromedare
und Esel wurden eingeführt. Vor allem die vielen Ziegen, die in den dichter
besiedelten Gebieten nahe der Hauptstadt Hadibu mit ihren steinernen
Flachbauten das Bild der Ebenen prägen, führen zu einer zunehmenden
Überweidung. Mit der Folge, dass junge Pflanzen nur schwer gedeihen und die
Population der berühmten Drachenbäume bereits nachgelassen hat. Der Einfluss
des Festlandes ist auch auf Sokotra spürbar: Rund zehn Prozent der etwa 80.000
Einwohner arbeiten als Gastarbeiter in den Golfstaaten, auf deren
Transferleistungen kaum verzichtet werden kann. Die intellektuellen Köpfe des
Archipels, das keinerlei Industrie aufweist, jedoch über ein gutes Schulsystem
verfügt, setzen auf neue Einnahmequellen durch den Ökotourismus.
Wer sich auf dieses Abenteuer einlässt, gehört zu den
Glücklichen, die das Glück in einer neuen Dimension erleben und für immer
anders definieren werden.
© Dagmar Dieterle
Veranstalter: Jemen-Reisen organisiert von Mitte Oktober bis
April Individualreisen und Reisen in kleinen Gruppen auf die Insel Sokotra.
Weitere Informationen: San Art Dagmar Dieterle Kunst +
Reisen GmbH, Büro: An der Burgermühle 4, D-83022 Rosenheim, Tel. 08031-88 737 98, Fax
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